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Im ersten Band des Werkes über die Uniformierung und Ausrüstung der deutschen Armeen von 1870/71 war auch ein Kapitel über die Handfeuerwaffen der Truppen des Norddeutschen Bundes und der süddeutschen Staaten vorgesehen, konnte aber wegen Platzproblemen nicht mehr integriert werden können. Ein verkürzter Text wurde dann als Artikel im DWJ 7/2020 veröffentlicht. Hier soll nun der ursprüngliche Text, angereichert mit Abbildungen und weitergehenden Informationen zu den Handfeuerwaffen präsentiert werden und so eine Ergänzung zum erwähnten Werk zu liefern. Die Referenzen der Fußnoten können in der Bibliographie zu den Armeen der Zeit bzw. in der Bibliographie zur Kriegsgeschichte nachgeschlagen werden.

Im Gegensatz zur Artillerie, bei der eine Harmonisierung der Geschütze durch alle deutschen Staaten existierte[1], lag dies bei den eingesetzten Handfeuerwaffen noch anders. Aufgrund der in Deutschland bis 1866 und auch danach noch gegebenen unterschiedlichen politischen Einflüsse in den norddeutschen sowie süddeutschen Staaten, bildeten sich zwei unterschiedliche Lager hinsichtlich der Kaliber von Handfeuerwaffen heraus.

Während die Staaten des norddeutschen Bundes die Waffen Preußens mit Kaliber 15,43 mm übernahmen, orientierten sich die süddeutschen Staaten wie Bayern und Württemberg in den 1850er und 1860er Jahren am kleineren österreichischen Kaliber von 13,9 mm.[2] Der zweite wichtige Unterschied bestand in der noch von den Gegnern Preußens genutzten Technik des Vorderladers, der im Krieg von 1866 seine Unterlegenheit gegenüber dem Hinterladersystem der preußischen Waffen zeigte. Zwar konnten Vorderlader in der Treffergenauigkeit positive Wirkung erzielen, jedoch zeigte sich, dass dies durch die hohe Schussfrequenz der Hinterladergewehre ausgehebelt wurde.

Daher stellten die noch mit Vorderlader bewaffneten Heere ihre Vorderlader- auf Hinterladergewehre um, wie beispielsweise das in Bayern hauptsächlich eingesetzte "Podewils-Gewehr". Jedoch konnte diese Umrüstung zu Problemen in der Munitionierung führen, da bei den umgerüsteten Gewehren zum Teil noch auf Papiereinheitspatronen zurückgreifen werden musste. Diese waren aber den mit dem Erfolg der Hinterlader eng verknüpften Metalleinheitspatronen unterlegen.[3] Neu entwickelte Hinterlader wie das damals auf dem Niveau der amerikanischen Hinterladersysteme liegende bayerische Werder-Gewehr kamen bis zum Deutsch-Französischen Krieg nur in geringerer Zahl zur Auslieferung.

Für die Kavallerie war dieser Fortschritt bis zum Kriegsausbruch noch nicht gegeben, da die Taktik des Kavallerieeinsatzes im Gefecht noch den Fokus auf die Nutzung der Blankwaffe legte. So waren die Kürassiere und Ulanen sowie die Unteroffiziere und Trompeter der Dragoner und Husaren noch 1870 mit älteren, glattläufigen Pistolen bewaffnet, die sich jedoch höchstens beim Alarmgeben bewährten.[4] Nur primär zum Plänkeln eingesetzte Kavalleristen, d.h. die Mannschaften der Dragoner und Husaren, wurden ab 1859 mit dem Zündnadel-Karabiner Modell 57 ausgerüstet, die jedoch gegenüber der Standardwaffe französischer Verbände, dem Chassepot, ins Hintertreffen kam. Hinsichtlich der Pistole berichtet der Chronist des Ulanen-Regiments Nr. 7:

"Was man indeß sehr vermißt hatte, das war besonders, wenn wie in der letzten Periode das Regiment selbstständig antreten sollte, zur Besetzung von Engwegen und Sicherung von Unterkunftsorten, im Kampf mit Franctireurs, eine brauchbare Handfeuerwaffe. Das Pistol hatte sich als völlig unzulänglich herausgestellt, und so erhielt denn durch Kabinets-Ordre vom 6. März 1873 jede Eskadron 32 Chassepot-Karabiner …"[5]

Als Alternativen zu den Pistolen wurden im Deutsch-Französischen Krieg auch zahlreiche Revolvermodelle, meist aus amerikanischer oder französischer Produktion, vor allem von deutschen Offizieren bevorzugt.[6] Da ihnen keine Schusswaffe vorgeschrieben war, spielten bei der Beschaffung finanzielle Möglichkeiten und technische Vorlieben der betreffenden Offiziere eine wichtige Rolle. So verwundert es nicht, dass Fotografien der Zeit auch Offiziere mit Revolvern unterschiedlicher Herkunft präsentieren.

 

Kanonier einer reitenden Batterie des (sächsischen) Feld-Artillerie-Regiments Nr. 12 - er führt einen Revolver, möglicherweise vom französischen Modell Lefaucheux, auch der Säbel dürfte französischen Ursprungs sein, nämlich vom M/22 für die Kavallerie.
(Sammlung Louis Delpérier; Abbildung kann mit dem Mauszeiger vergrößert werden)

 

Während der Belagerungen im Laufe des Deutsch-Französischen Krieges kamen auch Wallbüchsen zur Bekämpfung französischer Schützen und Artilleristen zum Einsatz. Selbst die von der französischen Armee eingesetzten "Kanonenboote" wurden mit diesen beschossen:

"Vielfach fuhren auch armierte Kanonenboote heran und suchten sich ihr Ziel aus nächster Entfernung, zwar meist ohne Wirkung zu erzielen. Zur Abwehr dieser Versuche bildete man besondere Trupps, welche, mit Wallbüchsen ausgerüstet, dem Gegner wenigstens einigermaßen antworten konnten."[7]

Allerdings erforderte die Bedienung von Wallbüchsen erfahrene Soldaten, wie bei den badischen Leib-Grenadieren zu erfahren ist:

"Die Ehre, eine Wallbüchse führen zu dürfen, wurde nur ausgewählten Mannschaften aus den vorzüglichsten Schützen zu Theil. Sie standen unter Befehl besonders auf der Spandauer Schießschule ausgebildeter Offiziere … Ihr Dienst war ein sehr anstrengender und gefährdeter. Dem Feinde möglichst nahe, in den allervordersten Schützenlöchern, später in den am weitesten vorgetriebenen Laufgräbenspitzen nisteten sie sich stets noch vor Tagesanbruch ein, verblieben dann meist bis zum Abend in ihren vom Feinde scharf auf’s Korn genommenen Schützenlöchern, durchspähten unausgesetzt mit scharfem wachsamen Auge die Festungswerke, und was dort sich zeigte, war ihrer sicheren weittragenden Waffe rettungslos verfallen."[8]


 

Norddeutscher Bund

Grundlage der wichtigsten Handfeuerwaffen Preußens und seiner verbündeten Staaten bildete das Zündnadelgewehr des thüringischen Handwerkers Nikolaus Dreyse (1787-1867). Dieser entwickelte in den 1830er Jahren den Prototyp des Zündnadelgewehrs die letztlich in das Zündnadel-Infanteriegewehr M/1841 mit gezogenem Lauf, Hinterladersystem und Einheitspatrone führte.[9]

 

Darstellung des Dreyse-Zündnadelgewehrs sowie der acht Schritte des Ladevorgangs in französischer Sprache
(© Musée de l'Armée Paris)

 

Durch Ausbau der Produktionskapazitäten konnte Preußen 1866 etwa 268.000 Mann mit den Zündnadelgewehren Dreyse’schen Modells ausrüsten und die Überlegenheit gegenüber den von Österreich und seinen Verbündeten genutzten Vorderladersystemen demonstrieren.

 

Infanteriegewehr M1841  Infanteriegewehr M/41

Länge ca. 1,43 m
Gewicht ca. 4,8 kg
(ohne Beiwaffe)
Füsiliergewehr M1860  Füsiliergewehr M/60

Länge ca. 1,30 m
Gewicht ca. 4,7 kg
(ohne Beiwaffe)
Infanteriegewehr M1862  Infanteriegewehr M/62

Länge ca. 1,34 m
Gewicht ca. 4,7 kg

 

Im Krieg von 1870/71 kamen vordringlich die in der folgenden Tabelle aufgeführten Zündnadel-Gewehre und Karabiner zum Einsatz, die alle vom Kaliber 15,43 mm waren.

 

Modell Bestand am 15. Juli 1870[10] Bemerkung
Infanteriegewehr M/41 359.951 bei der Truppe
  88.559 in den Artillerie-Depots
Keine weitere Produktion in den Fabriken
Infanteriegewehr M/62 137.339 bei der Truppe
254.447 in den Artillerie-Depots
Lieferung des Schaftes in zwei Längen
Bewaffnung von 32 preußischen Regimentern und Teilen der badischen, hessischen, sächsischen und württembergischen Regimenter; bis Ende des Krieges wurden 297.228 Stück geliefert[11] 
Bewaffnung des braunschweigischen Regiments Nr. 92
Füsiliergewehr M/60 55.802 bei der Truppe
46.063 in den Artillerie-Depots
Auch hier konnten zwei Schaftlängen ausgeliefert werden, erkennbar an den Stempeln „LA“ oder „KA“ auf der rechten Kolbenseite
Bewaffnung der Füsilier-Regimenter, bis 1871 wurden 101.886 Stück produziert[12]
Auch das sächsische Schützen-(Füsilier-) Regiment Nr. 108 war damit bewaffnet
Jägerbüchse M/65 17.150 bei der Truppe
  7.875 in den Artillerie-Depots
Schäfte konnten in zwei Längen ausgeliefert werden
Bewaffnung der preußischen und Jäger und Schützen sowie der sächsischen Jäger, bis 1871 erhöhte sich die Produktion auf 29.896 Stück[13]
Pioniergewehr U/M 10.504 bei der Truppe
  1.945 in den Artillerie-Depots
Umbau älterer Gewehre, vor allem alter Pikenbüchsen M/54 der Jäger
Bewaffnung der Pioniereinheiten, insgesamt wurden 12.449 umgebaute Pioniergewehre hergestellt
Pioniergewehr M/69 2.202 in den Artillerie-Depots Während des Krieges von 70/71 wurden weitere 3.535 Stück produziert[14]
Karabiner M/57 27.456 bei der Truppe
19.053 in den Artillerie-Depots
Ordonnanzwaffe für die Mannschaften der Husaren und Dragoner gemäß A.K.O. vom 3. Februar 1859
Der Karabiner konnte mittels zwei Ringe am Bandolier eingehängt werden

 

Preußischer Landwehrmann mit Zündnadelgewehr M/41, gut erkennbar an der Kolbenbacke.
(Sammlung Hans-Dieter Zimmer; Abbildung kann mit dem Mauszeiger vergrößert werden)

 

Die meisten deutschen Kleinstaaten hatten bereits vor dem Krieg von 1866 aus preußischen Beständen Zündnadelgewehre erworben. Im Königreich Sachsen erfolgten noch vor dem Krieg an der Seite Österreichs eigene Versuche mit Hinterladern, die jedoch nach der Niederlage und der Eingliederung der sächsischen Armee in die preußische Armee eingestellt wurden. Am 18. April 1867 heißt es in Berlin, dass "die Ausrüstung … des sächsischen Armeecorps mit Zündnadelgewehren (System Dreyse) bereits erfolgt ist."[15] Dies resultierte aus der Militärkonvention mit Preußen, die einheitliche Bewaffnung innerhalb des Norddeutschen Bundes war übrigens in dessen Verfassung verankert.

 

Infanteristen des Herzoglich Braunschweigischen Infanterie-Regiments Nr. 92 mit Zündnadelgewehren M/62. Diese sind schnell über die Kugelspitzen der Ladestöcke und der fehlenden Kolbenbacke zu identifizieren.
(Sammlung Jérome Lantz; Abbildung kann mit dem Mauszeiger vergrößert werden)

 

Neben den Zündnadel-Karabinern, die eine Länge von 81 cm hatten und etwa 2,5 kg wogen, kamen bei der Kavallerie als Ordonnanzwaffe die Perkussions-Pistole M/50 zum Einsatz. Bei der Truppe befanden sich Mitte Juli 1870 insgesamt 43.836 Pistolen M/50. Die Pistole M/50 war als Ordonnanzwaffe für die Kürassiere und Ulanen vorgesehen, die Mannschaften der Husaren und Dragoner erhielten den Karabiner M/57. Dagegen behielten Unteroffiziere und Mannschaften die Perkussions-Pistole. Ebenfalls mit dieser Pistole bewaffnet waren die berittenen Artilleristen sowie Unteroffiziere und Fahrer des Trains.[16] Diese älteren Modelle mit der Bezeichnung U/M waren Mitte Juli bei der Truppe in einer Stückzahl von 21.311 vorhanden.[17]

 

Füsilier eines Garde-Infanterie-Regiments; eigentlich waren diese Regimenter mit dem Füsiliergewehr M/60 bewaffnet, hier könnte der Füsilier auch die kurze Büchse M/65 tragen.
(Sammlung Jérome Lantz; Abbildung kann mit dem Mauszeiger vergrößert werden)

 


 

Großherzogtum Hessen

In Hessen versuchte der Ballistiker Wilhelm von Ploennies noch nach der Niederlage von 1866 ein eigenes Hinterladersystem zu entwickeln, musste aber am 7. Januar 1867 konstatieren, dass "die Anschaffung neuer Hinterlader hinsichtlich der Wahl des Modells durch politische Verhältnisse und hinsichtlich der Geldmittel durch besondere Bewilligung bedingt wird."[18] Diese Verhältnisse, d.h. die Militärkonvention mit Preußen führten dann letztlich dazu, dass die hessische Infanterie noch 1867 mit dem preußischen Zündnadelgewehr M/62 ausgerüstet wurde.[19]

Die hessische Kavallerie wurde mit dem preußischen Zündnadelkarabiner M/57 ausgerüstet, zunächst ab 1867 nur 16 Mann, im darauffolgenden Jahr 76 Mann pro Schwadron. Nicht mit Karabiner bestückte Soldaten führten eine Pistole. Im Juni 1869 sollen alle Mannschaften mit dem Karabiner ausgerüstet worden sein.[20]

 

Preußischer Husar mit Zündnadelkarabiner M/57. Am sichtbaren Ring des Kolbens konnte der Karabiner am Kartuschbandolier eingehakt werden.
(Sammlung Louis Delpérier; Abbildung kann mit dem Mauszeiger vergrößert werden)

 

Großherzogtum Baden

Das Großherzogtum Baden suchte nach dem verlorenen Krieg von 1866 die älteren Waffen nach dem System Minié durch den großen Ankauf preußischer Zündnadelgewehre auszutauschen. Insgesamt 16.000 preußische Infanteriegewehre M/62 aus dem Artilleriedepot Magdeburg werden ab Mai 1867 an die badische Armee ausgeliefert.[21]  Gleichzeitig wurden zwischenzeitlich gestoppte Änderungen des alten badischen Vorderladergewehrs M/57 mit dem österreichischen Kaliber von 13,9 mm, auch „Vereinsgewehr“ genannt[22], in ein Zündnadelgewehr wieder fortgesetzt. Diese Änderungen betrafen das Aufbohren der Gewehrläufe auf das preußische Kaliber von 15,43 mm, das Neuziehen der Läufe, das Anschrauben des Zündnadelsystems sowie das Ausfüttern des Schaftes.[23]

Zur Entwicklung einer Jägerwaffe waren schon 1861 Versuche mit einem eigenen Hinterladersystem begonnen worden, das auf dem System des Engländers Terry beruhte. Aus diesen Versuchen ging die badische Jägerbüchse M/64 hervor, die damit vor dem Krieg von 1866 die einzige weitere Hinterladerwaffe neben den Dreyse-Gewehren in deutschen Armeen war. Die Jägerbüchse war in ihrer ursprünglichen Form 119 cm lang und wog etwa 4,8 kg. Die Visierreinrichtung ließ eine Schussweite bis 1.000 Schritt zu. Auch die Jägerbüchsen wurden zwischen 1867 und 1869 mit dem Verschlusssystem der preußischen Jägerbüchse M/65 ausgestattet.

 

Preußischer Jäger mit Zündnadelbüchse M/65; gut erkennbar der angelegte Visierdeckel zum Schutz.
Die Länge der Büchse betrug ohne Beiwaffe etwa 1,24 m und das Gewicht ca. 4,9 kg.
(Sammlung Hans-Dieter Zimmer; Abbildung kann mit dem Mauszeiger vergrößert werden)

 

Somit wurden Ende Dezember 1869 im Großherzogtum Baden ein Infanteriewaffenbestand mit 22.000 preußischen Infanteriegewehren M/62, 18.600 umgebauten Gewehren M/57 und 994 umgeänderten Jägerbüchsen M/64 gezählt.[24]

Die Mannschaften und Unteroffiziere der badischen Kavallerie waren noch 1870 mit ihren alten Kolbenpistolen der Modelle M/53 und M/58 ausgerüstet, an denen ein Kolben angesteckt wurde und die dadurch ein genaueres Schießen ermöglichen sollten. Erst nach Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges wurden die Kavalleristen im November 1871 mit preußischen Zündnadelkarabineren M/57 ausgerüstet.[25]

Für die badischen Artilleristen sollten im Mobilisierungsfalle die preußischen Zündnadelkarabiner M/57 ausgegeben und ihre alten Perkussionsgewehre abgegeben werden.[26]

Königreich Württemberg

Auch die württembergischen Truppen spürten im Krieg gegen Preußen 1866 den Nachteil ihres gleichwohl präzise schießenden "Vereinsgewehrs" M/57 gegenüber den preußischen Hinterladern. Nach der Konfrontation mit dem Schnellfeuer der Preußen im Gefecht von Tauberbischofsheim am 24. Juli 1866 schrieb der Schwäbische Merkur, dass "unsere Infanterie die Wirkungen des Hinterladergewehrs kennengelernt hat, sie verlangt ein solches für den nächsten Feldzug und hat das Recht, es zu verlangen."[27]

Erste Versuche in Württemberg sollten sich auf Hinterlader fortschrittlicher Generation, die mit vollständig aus Metall bestehenden Patronen beladen werden konnten, konzentrieren. Gemeinsam mit bayerischen Offizieren wurden die Untersuchungen an mehreren Hinterladersystemen, darunter auch amerikanischer Bauart, angelegt. Da jedoch schon 1867 ein Konflikt zwischen Frankreich und Preußen drohte und die süddeutschen Staaten darunter in Mitleidenschaft treten konnten, musste das Königreich Württemberg zügiger Hinterladergewehre für ihre Armee beschaffen und waren somit letztlich auf die Unterstützung Preußens angewiesen.[28]

Mit der im Mai 1867 genehmigten Übernahme des preußischen Zündnadel-Gewehrs mussten nunmehr das preußische Reglement zum Gebrauch des Gewehrs in der württembergischen Armee implementiert werden. Wegen der nach wie vor gegebenen Abneigung gegenüber Preußen wurden jedoch keine Ausbilder in das neue Reglement aus Preußen, sondern aus dem Nachbarland Baden nach Württemberg geholt. Zunächst wurden Offiziere und Unteroffiziere mit der Nutzung des neuen Systems vertraut gemacht, ab 1. Oktober 1867 erfolgte dann die Ausbildung der Mannschaften am Zündnadel-Gewehr.[29]

Wie in Baden wurde auch im Königreich Württemberg das alte „Vereinsgewehr“ M/57 mit dem Zündnadel-System aus Preußen umgerüstet, so dass bis zum 18. Dezember 1868 insgesamt 11.000 umgebaute Exemplare ausgeliefert werden konnten.[30] In den württembergischen Vorschriften wird dieses Modell als M/67 bezeichnet.[31] Dazu sollte das in Württemberg entwickelte Modell M/68 kommen, das dem preußischen M/62 bis auf den Abzugsbügel, der größeren Länge, der veränderten Visiereinrichtung und der Messinggarnitur ähnelte. Allerdings wurde dieses Modell erst 1871 an die Truppe ausgeliefert.[32]

Mit der Übernahme des Zündnadel-Systems erhielten die früheren württembergischen Jäger den Status von Füsilieren und wurden mit dem den Gewehren M/67 ausgerüstet.

Pioniere und Mannschaften des Trains sollten mit Corps-Befehl vom 11. April 1870 mit der alten Jägerbüchse M/60, die auf das Zündnadel-System umgerüstet wurde, ausgestattet werden. Allerdings soll auch diese Waffe erst ab 1871 ausgegeben worden sein.[33] Daher dürften sie in den Deutsch-Französischen Krieg noch mit dem gezogenen Pioniergewehr M/60 mit kleinerem Kaliber 13,9 mm gezogen sein. Die Artillerie führte keine Gewehre, erhielt aber bei der Belagerung von Straßburg französische Tabatière-Gewehre, pro Batterie 30 Exemplare.[34]

Schließlich war die württembergische Kavallerie mit der gezogenen Pistole M/62, ebenfalls vom Kaliber 13,9 mm, ausgerüstet. Zudem sollten 32 Mann pro Schwadron mit dem preußischen Zündnadel-Karabiner M/57 ausgerüstet werden.[35]


 

Königreich Bayern

Von den süddeutschen Ländern blieb einzig das Königreich Bayern dem alten Kaliber 13,9 mm treu und rüstete dessen Truppen mit eigenen Handfeuerwaffen aus. Noch vor dem Krieg von 1866 wurden Versuche zur Umrüstung der alten Vorderladergewehre mit Hinterladermechanismen angestellt, die jedoch erst nach der Niederlage gegen Preußen wieder aufgenommen wurden.

Das Königreich Bayern entschied sich, im Gegensatz zu den anderen Ländern zur Entwicklung eines eigenen Verschlusssystems, das stark auf den Entwicklungen des Konstrukteurs Lindner beruhte. König Ludwig II. genehmigte am 11. September 1867 den Umbau von ca. 100.000 Perkussionsgewehren M/58 in ein bayerisches Hinterladermodell M/58/67.[36] Erste Versuche mit dem umgerüsteten Gewehr führten jedoch zu wenig positiven Rückmeldungen, was vor allem an der noch ungenügenden Patrone lag. Zwar wurde die Patrone weiter optimiert, doch blieb vor allem das Zündhütchen nicht immer haften, so dass die Soldaten manuell nachhelfen musste. Vor Gefechten lösten die Soldaten oftmals auch die Zündhütchen aus den Patronen und steckten sie in ihre Hosentaschen. Kommandeure ließen ihre Einheiten vor Einsätzen daher auch "Ablodern", d.h. das Verpuffen eines Zündhütchens und Nachhelfen mit der Räumnadel. Diese Mängel führten auch dazu, dass mit dem bayerischen Hinterladermodell M/58/67 selbst erfahrene Infanteristen nicht mehr als fünf Schuss pro Minute abgeben konnten.

"Oft versagte schon nach dem 6. Schusse der Mechanismus, indem in das Gewinde des Verschlusses (‚der Kaffemühle‘, wie ihn der Soldatenwitz bezeichnete) eingedrungener Sand oder Pulverschleim, Papierrückstände, gefrornes Schmiermaterial (z.B. Hammelfett) das Vor- und Zurückziehen des Cylinders verhinderten."[37]

Zudem wurden bei den ersten Versuchen die Ladestöcke mehrfach „herausgeschossen“, so dass diese in den optimierten Modellen die Stöcke mittels Gewinde in der Nut festgeschraubt werden konnten.[38]

Mit Beendigung der Umrüstaktion verfügte das Königreich Bayern Ende 1867 über insgesamt 110.000 Exemplare des Modells M/58/67, das auch nach dem Direktor der Waffenfabrik in Amberg als „Podewils-Gewehr“ bezeichnet wurde.[39] Jedoch erfreute sich selbst das nach den oben erwähnten Versuchen optimierte Gewehrmodell immer großer Zufriedenheit, wie der Chronist des 11. Infanterie-Regiments eindrucksvoll für den 5.-6. Dezember 1870 berichtet: 

"Die Gewehre befanden sich in einem jämmerlichen Zustand. Hatten doch ‚die Kompagniechefs schon im Frühjahr 1870 gemeldet, daß die Podewilsgewehre für dieses Jahr zur Not noch das Scheibenschießen aushielten, bis zum nächsten aber jedenfalls dazu unbrauchbar sein würden. Und mit diesen Gewehren mußte man den ganzen Feldzug mitmachen!‘ Abgesehen von der geringen Tragweite und Treffgenauigkeit zeitigte auch die Ladeweise empfindliche Übelstände. Die Patronenhülse bestand aus Papier, bei nasser Witterung wurde sie weich und riß beim Hineinschieben in den Lauf. Dann war ein guter Rat teuer! Die Kugel steckte im Lauf, das Pulver rieselte in den Verschluß und auf den Boden. Das Zündhütchen war in einer Einlassung des Patronenbodens untergebracht, mußte daraus mit dem Fingernagel vorgeholt und dann auf den Hahn gesetzt werden, ein schwieriges Ding für erstarrte Finger, und oft schlug der Feuerstrahl des ersten Hütchens nicht durch die feuchte Hülse. Den braven Soldaten setzte dieses Zerrbild einer Kriegswaffe nicht selten in peinliche Verlegenheit, dem Drückeberger aber konnte es zu erwünschtem Anlaß dienen, ‚auszutreten‘."[40]

Parallel zur Umrüstung der alten Podewils-Gewehre in Hinterladermodelle wurde in Bayern das Gewehr "Werder" M/69 entwickelt, das mit 11 mm ein noch kleineres Kaliber besaß, jedoch mit vollständig aus Metall hergestellten Patronen beladen werden konnte, deren Hülsen zudem noch automatisch ausgeworfen wurden. Dieses wegen der damit verbundenen hohen Schussrate auch „Blitz“-Gewehr genannte Modell dürfte die 1870/71 beste Gewehr-Konstruktion zumindest in Europa gewesen sein.[41] Geübte Schützen konnten pro Minute bis zu 22 Schuss bei 20 Treffern abgeben.[42] Das Werder’sche Gewehr wog etwa 4,3 kg, mit aufgesetztem Yatagan 5 kg, und hatte eine Länge von 1,31 Meter, bei aufgesetztem Yatagan von 1,79 Meter.

 

Werder-Gewehr M/69 (Quelle: Wiki-Commons, Schwedisches Armeemuseum)

  

Jedoch konnten mit Ausbruch des Krieges nur wenige Einheiten, vornehmlich Jäger-Bataillone, mit dem neuen Gewehr M/69 ausgerüstet werden. Mit dem Gewehr mobilisiert und in das Feld geschickt wurden die bayerischen Jäger-Bataillone 2, 5, 9 und 10. Anfang Oktober rückten die dritten Bataillone der Infanterie-Regimenter 12 und 13 und Ende Dezember das I. Bataillon vom 4. Infanterie-Regiment sowie das II. Bataillon des 8. Infanterie-Regiments mit dem neuen Gewehr nach. Anfang Januar 1871 wurden dann die bei der Festung Bitsch eingesetzten Einheiten vom 4. und 8. Infanterie-Regiment ebenfalls mit dem Werder-Gewehr ausgestattet. Ende Oktober 1871 waren schließlich fast alle Infanterie- und Jäger-Bataillone mit M/69 bewaffnet.[43]

 

Bayerische Infanterie in Frankreich 1870/71. Der liegende Soldat, erste Reihe vierter von rechts, hält ein Werder-Gewehr.
(Sammlung Jérome Lantz; Abbildung kann mit dem Mauszeiger vergrößert werden)

 

Die bayerischen Chevaulegers legten mit Verfügung vom 11. Juli 1863 die bisher genutzten Karabiner ab und behielten nur die Vorderladerpistole M/43. Doch sollten zumindest für den Vorpostendienst auch ausgewählte Kavalleristen mit einem Karabiner ausgestattet werden. Da der berechnete erste Bedarf von 4.000 Karabinern und Pistolen des neuen Werder-Systems nicht geliefert werden konnten, wurden noch im August 1870 zumindest 500 Zündnadel-Karabiner des preußischen Modells M/57 von Preußen erbeten. Noch vor Ende August wurden an die Depots der sechs Chevaulegers-Regimenter 80-90 Karabiner ausgeliefert, die den Feldschwadronen nachgeschickt werden sollten.[44]

Für das 6. Chevaulegers-Regiment wird beschrieben, dass "die Ersatzabteilung gleichzeitig 90 Zündnadelkarabiner nebst Zubehör überbrachte, welche ebenso wie die Ersatzmannschaften, sofort an die 2. und 3. Eskadron verteilt wurden. Ein gerade daherkommender preußischer Husaren-Unteroffizier erklärte schnell die Lademanipulation und den sonstigen Gebrauch des Karabiners, durch die Eskadronssattler wurden die Karabinerschuhe und Trageriemen an den Sätteln befestigt und in kurzer Zeit war man mit der neuen Waffe wohl vertraut."[45] Die nicht mehr benötigten 90 Pistolen wurden an die Depots zurückgesandt. Im 5. Regiment berichtet der Offizier Leinenweber am 29. November 1870, dass "vor einigen Tagen preussische Karabiner beim Regiment zur Verteilung kamen und die überlassene Stückzahl reichte für die vierten Züge, sogenannte Schützenzüge aus. Sofort wurde das Lederzeug zum Anbringen am Sattel hergerichtet und die ganze Mannschaft der Eskadron mit dem Karabiner einexerziert und nach Erlernung der Handgriffe Uebungen im Scharfschiessen vorgenommen."[46]

Allerdings wurden die ausgegebenen Karabiner nur als Notlösung verstanden, da "der Mangel an einer guten Schußwaffe sich während des ganzen Feldzuges sehr unangenehm fühlbar machte. Jene 90 Stück Zündnadelkarabiner, welche das Regiment am Schlachttage von Sedan empfing, gewährten insofern wenig Vorteil, als man deren 400 gebraucht hätte … Das Pistol der Mannschaft konnte kaum als Alarmwaffe, geschweige denn als Schußwaffe in Betracht kommen."[47]

Die Ulanen führten neben der Lanze nur noch die glattläufige Vorderladerpistole M/43. Bei den Kürassieren waren die Mannschaften und Unteroffiziere ebenfalls mit dieser Pistole bewaffnet, einzig Trompeter und der Unterstab waren mit, für Zündhütchenfeuer modifizierten, Modellen M/43 und M/45 bewaffnet.[48]

Auch die bayerische Artillerie und das Fuhrwesen war 1870 hauptsächlich mit den alten Pistolen bewaffnet, teilweise umgerüstet für das Schießen mit Zündhütchen. Zwar wurde für die Artillerie die Bewaffnung mit einem kurzen Karabiner zum Umhängen angeregt, was jedoch bis Kriegsausbruch nicht zur Umsetzung gelangte.[49]

Da auch die Pioniere des Genie-Regiments nicht mit den vorgesehenen Werder-Gewehren M/69 ausgerüstet werden konnten, rückten die Feld-Genie-Kompanien mit dem alten Zündhütchen-Gendarmeriegewehr M/44 ins Feld. Dieses wurde jedoch schnell durch erbeutete Chassepot-Gewehre ausgetauscht.[50]


 

Nutzung des französischen Chassepot-Gewehrs in den deutschen Armeen

Vielfach zeigte sich im Deutsch-Französischen Krieg die Unterlegenheit der deutschen Ordonnanzwaffen im Vergleich zu den Chassepot-Modellen der französischen Truppen. So berichten zahlreiche Memoiren und Regimentsgeschichten von der Ausrüstung ausgewählter Schützen mit Chassepot-Gewehren, um den Nachteil der eigenen Gewehre hinsichtlich der Reichweite ausgleichen zu können. Dies ging sogar soweit, dass komplette Züge mit Beutewaffen ausgerüstet werden konnten, wie der Freiherr von Wechmar für Mitte Januar 1871 zum Husaren-Regiment Nr. 4 berichtet:

"Zur Sicherheit und größeren Selbstständigkeit der Husaren trug die in dieser Zeit eingeführte Bewaffnung mit Chassepotgewehren bei, deren Zahl, anfänglich von der Division geliefert, sich durch eigene Sorge der Schwadronen bald so vermehrte, daß die gesammten vierten Züge damit versehen waren. Die Waffe war freilich etwas lang und schwer und nicht eben bequem auf dem Rücken zu führen, ihre größere Brauchbarkeit dem Zündnadelkarabiner gegenüber aber stellte sich bald heraus."[51]

Das gleiche Vorgehen, also die Bestückung des vierten Zuges mit Chassepot-Gewehren wird für Anfang November beim Ulanen-Regiment Nr. 13 berichtet[52], wie auch beim Husaren-Regiment Nr. 5 Mitte Januar 1871.[53]

 

Darstellung des Chassepot-Gewehrs sowie der sechs Schritte des Ladevorgangs in französischer Sprache
(© Musée de l'Armée Paris)

 

Gerade im Patrouillendienst oder auf Feldwache bei den Belagerungen erkannten auch die Truppenführer die Überlegenheit der Chassepot-Modelle an, wie schon im September 1870 bei der preußischen Gardeinfanterie:

"Bei solchen Gelegenheiten und noch mehr bei Begegnungen unserer Patrouillen mit den feindlichen machte sich die geringe Schußweite des Zündnadelgewehrs im Vergleiche zu der etwa doppelt überlegenen Tragkraft des Chassepots so nachtheilig fühlbar, daß auf Befehl der Division Ende September an jede Kompagnie 10 bis 15 Chassepotgewehre, behufs Verwendung im Vorpostendienste durch gute Schützen, ausgetheilt werden."[54]

 

Preußischer Infanterist in Amiens 1870/71 mit Chassepot-Gewehr.
(Sammlung Jérome Lantz; Abbildung kann mit dem Mauszeiger vergrößert werden)

 

Dieses Vorgehen beschränkte sich nicht nur auf die Truppen des Norddeutschen Bundes, sondern auch auf süddeutsche Verbände, wie beispielsweise beim hessischen 1. Reiter-Regiment, bei dem die gesamte Leibschwadron Anfang Dezember 1870 mit, von Gefangenen abgenommenen, Chassepot-Gewehren bewaffnet wurde.[55] Oder beim württembergischen 5. Infanterie-Regiment im Dezember 1870 vor Paris:

"Um den Vorposten eine Erwiderung des feindlichen Gewehrfeuers auch auf die weiten Entfernungen und eine Beunruhigung der feindlichen Schanzarbeiten zu ermöglichen, ließ Oberst Freiherr v. Hügel von den auf dem Schlachtfeld aufgelesenen Chassepotgewehren in jeder Kompagnie drei Stück mit entsprechender Munition an gute Schützen ausgeben, welche mehrfach erfolgreichen Gebrauch davon machten."[56]

Selbst Artilleristen wurden mit Chassepot-Gewehren ausgerüstet, wie beispielsweise die badische Artillerie zur Bewachung des Artillerieparks.[57]

Befehle zur Bestückung der Einheiten gingen selbst von Korpsebene aus, wie der Chronist des hessischen 2. Infanterie-Regiments für den 27. September 1870 berichtet:

"Nach einem Armeebefehl vom heutigen Tage sollte das IX. Armeekorps 200 Chassepotgewehre mit 10000 Patronen sowie 15 Zündnadelwallbüchsen mit 6000 Patronen empfangen, um sie beim Vorpostendienst zu verwenden. Die alsbald ausgegebenen Chassepotgewehre leisteten in der Tat infolge ihrer großen Tragweite sehr gute Dienste."[58]

Rezeption der Erfahrungen im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71

Die beschriebene Nutzung der Chassepot-Gewehre führte im Nachgang zum Krieg zu Bewertungen der Feuerkraft der Handfeuerwaffen, vor allem des preußischen Zündnadelgewehrs im Vergleich zur französischen Waffe. So schreibt Malachowski 1892 in seinem Werk zur Entwicklung der Taktik:

"Das Chassepotgewehr war dem Zündnadelgewehr an Feuergeschwindigkeit, Tragweite und Rasanz überlegen. Seine Scheitelordinaten bis 600 Meter betragen auf allen Entfernungen ziemlich genau die Hälfte der des Zündnadelgewehrs.
Anfangsgeschwindigkeit bei Zündnadel 296 Meter,
Anfangsgeschwindigkeit bei Chassepot 420 Meter,
Bestrichener Raum bei Zündnadel 277 Meter,
Bestrichener Raum bei Chassepot 340 Meter.
Dazu kam das häufige Klemmen und der undichte Verschluß des Zünönadelgewehrs, bei dem zwei Ladegriffe mehr zu machen waren und zwei andere Anwendung von Gewalt verlangten. Plönnies erklärte 1872 das Zündnadelgewehr für ebenso wenig zum praktischen Gebrauch geeignet, wie etwa Fultons erstes Dampfschiff. ...
Der russische General Annenkoff, der uns vor Paris besuchte und sich auch für die Waffen eingehend interessierte, hielt die Leistungen des Zünönadelgewehrs auf 500 Schritt und des Chassepots auf 1500 Schritt für etwa gleich. 'Das Einzige, was man am Chassepotgewehr auszusetzen hat, ist der Umstand, daß man mit demselben nicht weiter als auf 1200 Schritt richtig zielen kann. Will man schießen und zugleich treffen, so muß man vom Gürtel aus anlegen, was die französischen Soldaten auch gewöhnlich thun. Der größte Theil der französischen Infanterie ist im Schießen nicht geübt, wodurch auch die schwache Wirkung ihres Feuers im Verhältnis zur Menge der verschossenen Kugeln erklärt wird.'"[59]

Auch Boguslawski schreibt in seinen Taktischen Folgerungen aus dem Kriege 1870-1871, dass "die [französische] Defensive, welche, wie wir später zeigen werden, unbezweifelt an Kraft gewonnen hat, durch eine bessere Infanteriewaffe wie die deutsche unterstützt war."[60] So verwundert es auch nicht, dass schon direkt im Anschluss an den Deutsch-Französischen Krieg unter Militärs Diskussionen über die Waffenfrage der deutschen Infanterie begannen. Ein Beitrag im Beiheft zum Militair-Wochenblatt von 1871 beschäftigt sich mit der "Gewehrfrage", dabei klingt auch Kritik an der Rezeption in der deutschen Presse durch, wie zu lesen ist:

"Haben uns doch nachmals selbst Offiziere gestanden, daß sie in den ersten Gefechten einigermaßen überrascht gewesen, als die Franzosen nach etwa halbstündigem Feuer dasselbe noch fortzusetzen vermocht hätten, ohne von den Versagern, Mechanismushemmungen etc. des so arg geschmähten Chassepotgewehrs daran verhindert zu sein ... 
Die relative Überlegenheit des Chassepotgewehrs wurzelte in ganz anderen Momenten.
Sowohl seine sehr rasante Flugbahn, wie seine große Wirkungsweite, beide eine Frucht des kleinen Kalibers und der dadurch möglichen Belastung des Querschnitts des Geschosses, wie der relativ großen Pulverladung, haben sich in so empfindlicher Weise geltend gemacht, daß das Urteil der Offiziere, wie der Soldaten in dieser Beziehung ein völlig einstimmiges und unumstößliches ist.
Einen um so auffallenderen Eindruck muß es demnach machen, wenn nach solchen evidenten Erfahrungen wiederum in der Tagespresse sich hier und da vereinzelte Stimmen vernehmen lassen, die auch ferner dem Zündnadelgewehr 'mit geringen Modifikationen' das Wort reden."[61]


 

Fußnoten

[1] Siehe Diskussion über das Einheitsgeschütz in Müller, Die Entwicklung der Feld-Artillerie in Bezug auf Material, Organisation und Taktik, von 1815 bis 1870, 1873, S. 307-313
[2] Siehe Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Einigungskriege, 1990, S. 54
[3] Siehe Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Einigungskriege, 1990, S. 64
[4] Siehe Ortenburg, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Einigungskriege, 1990, S. 68
[5] Siehe Kusenberg, Geschichte des Rheinischen Ulanen-Regiments Nr. 7, 1890, S. 137
[6] Siehe Meihs, Der Lefaucheux-Revolver, 2018, S. 161
[7] Siehe Lettow-Vorbeck, Geschichte des Füsilier-Regiments von Gersdorff (Kurhessisches) Nr. 80 und seines Stamm-Regiments des Kurhessischen Leibgarde-Regiments von 1631 bis 1913, 1913, S. 160
[8] Siehe Barsewisch/Trapp-Ehrenschild, Geschichte des Großherzoglich Badischen Leib-Grenadier-Regiments 1803-1871, Zweiter Teil, 1893, S. 36
[9] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 294
[10] Siehe Lehmann, Die Mobilmachung von 1870/71, 1905, Anlage 8 auf S. 235-236
[11] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 301-302
[12] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 301
[13] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 305
[14] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 306
[15] Zitiert aus Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 330
[16] Siehe Divy/Divy, Le pistolet prussien modèle 1850 – Troisième époque: de la production à la dotation, 1991, S. 6-7
[17] Siehe Lehmann, Die Mobilmachung von 1870/71, 1905, Anlage 8 auf S. 235
[18] Zitiert aus Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 339
[19] Siehe Röder v. Diersberg/ Beck, Geschichte des 1. Großherzoglich Hessischen Infanterie (Leibgarde-) Regiments Nr. 115, 1899, S. 583 und Bigge, Geschichte des Infanterie-Regiments Kaiser Wilhelm (2. Großherzoglich Hessisches) Nr. 116, 1903, S. 659
[20] Siehe Zimmermann, Geschichte des 1. Großherzoglich Hessischen Dragoner-Regiments (Garde-Dragoner-Regiments) Nr. 23, Zweiter Teil, 1881, S. 57
[21] Siehe Vollmer, Die Bewaffnung der Armeen des Königreichs Württemberg und des Großherzogtums Baden, 1981, S. 160
[22] Der Name rührt aus der "vereinten", d.h. gemeinsamen Nutzung eines Gewehrmodells auf Basis des Kalibers 13,9 mm in den drei Südstaaten Baden, Württemberg und Hessen. In der Heidelberger Konferenz vom 26. April 1856 konnten sich jedoch die Kriegsminister der drei Staaten nur auf den Minimalkonsens des einheitlichen Kalibers einigen. Siehe zum "Vereinsgewehr" unter Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 265-271
[23] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 333
[24] Siehe Vollmer, Die Bewaffnung der Armeen des Königreichs Württemberg und des Großherzogtums Baden, 1981, S. 162
[25] Siehe Vollmer, Die Bewaffnung der Armeen des Königreichs Württemberg und des Großherzogtums Baden, 1981, S. 167
[26] Siehe Hermes/Niemeyer, Unter dem Greifen, 1984, S. 175
[27] Zitiert aus Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 834
[28] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 336
[29] Siehe Vollmer, Die Bewaffnung der Armeen des Königreichs Württemberg und des Großherzogtums Baden, 1981, S. 51
[30] Siehe Vollmer, Die Bewaffnung der Armeen des Königreichs Württemberg und des Großherzogtums Baden, 1981, S. 51
[31] Siehe Marx, Geschichte des Infanterie-Regiments Kaiser Friedrich, König von Preußen (7. Württembergischen) Nr. 125, 1895, S. 76 und Mitteilung H. Hedtrich
[32] Siehe Vollmer, Die Bewaffnung der Armeen des Königreichs Württemberg und des Großherzogtums Baden, 1981, S. 51 und Mitteilung H. Hedtrich
[33] Siehe Vollmer, Die Bewaffnung der Armeen des Königreichs Württemberg und des Großherzogtums Baden, 1981, S. 52
[34] Mitteilung H. Hedtrich
[35] Siehe Spieß/Ritter, Geschichte des Dragoner-Regiments Königin Olga (1. Württ.) Nr. 25, S. 297
[36] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 349
[37] Siehe Müller/Braun, Die Organisation, Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der Königlich Bayerischen Armee von 1806 bis 1906, Band 2, Anmerkung 2 auf S. 392
[38] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 349-350
[39] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 278-284
[40] Siehe Zoellner, Geschichte des K.B. 11. Infanterie-Regiments „von der Tann“ 1805-1905, 1905, S. 377
[41] Siehe Götz, Militärgewehre und Pistolen der deutschen Staaten 1800-1870, 1996, S. 350
[42] Siehe Müller/Braun, Die Organisation, Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der Königlich Bayerischen Armee von 1806 bis 1906, Band 2, S. 395
[43] Siehe Müller/Braun, Die Organisation, Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der Königlich Bayerischen Armee von 1806 bis 1906, Band 2, Anmerkung 1 auf S. 395, Fischer, Geschichte des königlich Bayerischen 5. Infanterie-Regiments Grossherzog von Hessen – von 1868 mit 1877, 1878, Anmerkung auf S. 17 und Die Zwölfer im Feldzuge von 1870-71, 1873, S. 3
[44] Siehe Müller/Braun, Die Organisation, Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der Königlich Bayerischen Armee von 1806 bis 1906, Band 2, S. 410
[45] Siehe Heinze, Geschichte des kgl. Bayer. 6. Chevaulegers-Regiment „Prinz Albrecht von Preußen“ 1803 bis 1871, 1898, S. 613
[46] Siehe Leinenweber, Meine Kriegserlebnisse 1870/71, S. 172
[47] Siehe Heinze, Geschichte des kgl. Bayer. 6. Chevaulegers-Regiment „Prinz Albrecht von Preußen“ 1803 bis 1871, 1898, S. 642
[48] Siehe Müller/Braun, Die Organisation, Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der Königlich Bayerischen Armee von 1806 bis 1906, Band 2, S. 358
[49] Siehe Müller/Braun, Die Organisation, Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der Königlich Bayerischen Armee von 1806 bis 1906, Band 2, S. 564
[50] Siehe Müller/Braun, Die Organisation, Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der Königlich Bayerischen Armee von 1806 bis 1906, Band 2, S. 812-813
[51] Siehe Wechmar, Braune Husaren. Geschichte des braunen Husaren-Regiments der friederizianischen Armee 1742-1807 und des jetzigen Husaren-Regiments von Schill (1. Schlesischen) Nr. 4 1807-1893, 1893, S. 182
[52] Siehe Seydewitz, Die ersten 25 Jahre des Königs-Ulanen-Regiments (1. Hannoverschen) Nr. 13, 1891, Anmerkung auf S. 91
[53] Siehe Pretzell, Vincere aut mori! Geschichte des Blücherhusaren-Regiments, 1909, Anmerkung auf S. 554
[54] Siehe Altrock, Geschichte des Königin Elisabeth Garde-Grenadier-Regiments Nr. 3, 1897, S. 249
[55] Siehe Zimmermann, Geschichte des 1. Großherzoglich Hessischen Dragoner-Regiments (Garde-Dragoner-Regiments) Nr. 23, Zweiter Teil, 1881, S. 166
[56] Siehe Rübling, Geschichte des Grenadier-Regiments König Karl (5. Württembergischen) Nr. 123, 1911, S. 366
[57] Siehe Ferber, Geschichte des 1. Badischen Feldartillerie-Regiments Nr. 14, 1906, S. 223
[58] Siehe Bigge, Geschichte des Infanterie-Regiments Kaiser Wilhelm (2. Großherzoglich Hessisches) Nr. 116, 1903, S. 437
[59] Siehe Malachowski, Scharfe Taktik und Revuetaktik, 1892, S. 212-213
[60] Siehe Boguslawskie, Taktische Folgerungen, 1872, S. 30
[61] Siehe "Zur Gewehrfrage", in Beiheft zum Militair-Wochenblatt, 1871, S. 172-173